Babam Tschiftschi

Mai 6, 2011

Väter sind wichtig. Daran haben wir noch nie gezweifelt. Dass unsere über 80-jährigen Väter auf der Reise nach Jerusalem jedoch eine so wichtige Rolle spielen würden, hätten wir nicht gedacht. Als Hanspeter in Griechenland für lediglich 10 Euro eine Telefonkarte kaufen wollte, bat ihn der Verkäufer: „Schreiben Sie bitte den Namen Ihres Vaters in dieses Feld.“ Andere Länder, andere Sitten. In der Türkei wiederum scheint, wenn es um Annemaries Vater geht, dessen Beruf von großer Bedeutung zu sein. Kürzlich rannte uns eine Frau entgegen. „Woher kommen Sie?“ rief sie uns auf Englisch zu. Annemarie antwortete: „Aus der Schweiz. Babam Tschiftschi.“ Nicht dass wir die Landessprache fließend sprechen würden, doch diesen türkischen Ausdruck beherrscht Annemarie schon seit vielen Wochen: „Mein Vater ist Landwirt.“ Die Frau streckte als Ausdruck ihrer Begeisterung ihren Daumen hoch, lächelte und kehrte offensichtlich zufrieden wieder zur Kuh zurück, die sie hütete. Die zwei hilfreichen Worte haben durch einen Fotostopp in der Türkei ihren Weg in unseren Wortschatz gefunden. Normalerweise fragt Annemarie die Leute, ob sie ein Foto machen darf. Bei Schnappschüssen ist das aber schlecht möglich. Ein Mann bei der Feldarbeit reagierte gar nicht erfreut, als er die Kamera sah. Just in jenem Moment kam uns auf dem Gehsteig ein Mann entgegen. „Sprechen Sie Englisch, Deutsch oder Italienisch?“ sprach Annemarie ihn an. „Italienisch.“ „Mein Vater ist Landwirt. Deshalb habe ich von diesem Mann ein Foto gemacht.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und nach der Übersetzung zeigte sich auch der fotografierte Mann gelöst. „Babam Tschiftschi“ – diesen Ausdruck mussten wir uns merken. Seither sagen wir z.T. mehrmals täglich zu jemandem: „Babam Tschiftschi“, worauf wir stets viel Verständnis und nicht selten auch ein strahlendes Lächeln ernten. Manchmal zeigen die Leute auf den Rucksack und geben uns zu verstehen, er sei zu schwer. „Babam Tschiftschi“ und schon nicken sie verständnisvoll. Einem Polizisten war das noch nicht genug. Er wollte wissen, ob wir zuhause viel Milch getrunken hätten. „Ja, morgens und abends.“ Erst dann nickte er und war zufrieden. Nachdem er uns Cay (Tee) angeboten hatte, stellte er uns einige Fragen. Wie aus heiterem Himmel sagte er dann plötzlich: „Die Pässe bitte.“ Wir haben gemerkt, dass die Motive, uns einen Cay anzubieten, sehr unterschiedlich sein können. Manchmal ist es echte Gastfreundschaft. Teilweise will man uns jedoch einfach nur aus der Nähe betrachten und mehr über uns erfahren. Wir haben bereits erlebt, dass das Erzählte dann lautstark weiter verbreitet oder auf der anderen Straßenseite weiter erzählt wurde. Spätestens wenn jemand die Straße überquert hat und sich dann auch auf der anderen Seite alle nach uns umdrehen, wird uns klar, was los ist. Bei Kindern und Jugendlichen heißt es ab und zu: „Woher kommst Du? Wie heißt Du? Geld, Geld.“ Und wiederum andere versuchen, uns neben dem Cay gleich noch zu einem ganzen Menü in ihrem Restaurant zu überreden oder etwas aus ihrem Geschäft anzudrehen.

Ein Menü, bei dem wir bei der Zubereitung gerne zuschauen, ist der Börek (siehe Video). Da es tagsüber immer wärmer wird, marschieren wir jetzt früher und meistens auch ohne Frühstück los. Wenn sich nach ein oder zwei Stunden der Hunger meldet, essen wir entweder einen Börek, eine warme Suppe mit Salat oder sehr oft ein Brot, manchmal sogar mit Joghurt. Es scheint uns so, als ob unser himmlischer Vater dafür sorgt, dass wir auch genügend Vitamine zu uns nehmen. Es gibt hier sehr viele Treibhäuser (siehe Video), und die Ernte ist derzeit in vollem Gange. Uns wurde auf der Küstenstraße fast täglich Obst oder Gemüse geschenkt: Gurken, Erdbeeren, Bananen, Avocados, Orangen, Zitronen, Yeni Dünyas, Maulbeeren und andere uns unbekannte Früchte.

Einmal hielt direkt vor uns ein kleiner Lastwagen an. Eine Frau und ein Kind stiegen aus und begutachteten unsere Rucksäcke. Gleichzeitig rannten zwei junge Männer von der Führerkabine auf die Ladefläche und streckten uns anschließend je acht Gurken entgegen. „Nehmen Sie!“ „Danke, danke, aber das ist viel zu viel. Das können wir nicht tragen.“ „Doch, Sie müssen sie nehmen!“ „Nein, das ist zu schwer.“ Aber die Männer sprangen schon wieder auf den Lastwagen und fuhren davon. Eigentlich hatten wir unser Mittagessen für später eingeplant, aber es war wohl besser, unser Brot mit ein paar der Gurken schon jetzt zu essen, um die Last zu reduzieren. Mit Gestik und Mimik unternahmen wir mehrere Versuche, der Frau mit dem Kind die restlichen Gurken zu überlassen. Sie wollte davon partout nichts wissen. So stopften wir je zwei und drei Gurken in unseren Rucksack und sahen keine andere Möglichkeit, als den Rest auf der Bank liegen zu lassen. Kaum waren wir einige Schritte gegangen, hielt ein Auto neben uns und der Fahrer erkundigte sich, wohin unsere Reise ginge. Wir kamen ins Gespräch und staunten nicht schlecht, als Dario uns erzählte, er sei mit seiner ganzen Familie viele Jahre lang durch die ganze Welt gereist. Dank einem Fernkurs war auch für die Schulbildung der Kinder gesorgt. Ab und zu arbeitete Dario drei Monate um Geld zu verdienen. Erst jetzt müssen sie für eine kurze Zeit sesshaft werden, damit die zwei Kinder die Universität besuchen können. Sie luden uns ein, sie in Frankreich zu besuchen. Der Familie , die bis heute ohne Handy auskommt, konnten wir beim Abschied noch die restlichen Gurken überreichen. Ihnen war sofort klar, dass wir nicht alle mittragen konnten. Und wir freuten uns, dass Gott uns so reich beschenkt hatte, dass wir von dem Überfluss weiterschenken konnten.

Drei Tage später staunten wir gleich wieder, als Paul und Monika, die wir in Selcuk getroffen hatten, mit ihrem Wohnmobil neben uns anhielten. Ein besonderes Erlebnis war in diesem Fall, dass nur eine Kurve zuvor eine Frau am Straßenrand uns mit den Worten „Gusa, Gusa“ eine Menge grüner Früchte entgegen gestreckt hatte, mehr als wir allein essen konnten. Einmal mehr konnten wir unseren Überfluss mit anderen teilen, und Paul und Monika lernten so eine für sie neue Obstart kennen. Solche Begegnungen sind für uns keine Zufälle.

Einmal schenkte uns ein Verkäufer nach dem Kauf eines Fruchtsafts noch zwei Gurken. Wir brachten sie im Rucksack unter und zwei Stunden später aßen wir eine nahrhafte Suppe. Es war das erste Mal, dass dazu kein Salat serviert wurde. Wir erinnerten uns an die Gurken und staunten, dass Gott auch hier wieder wunderbar vorgesorgt hatte, damit wir zur rechten Zeit auch noch zur nötigen Rohkost kamen. Das ist eine wichtige Ergänzung zum – für unseren Geschmack – etwas ‚pappigen‘ Weißbrot. Wir nennen es nur noch „Faltbrot“, da wir es ganz einfach zusammenfalten und so mühelos im Rucksack verstauen können. In den Städten freuen wir uns immer, wenn wir ein viel nahrhafteres Vollkornbrot finden.

Als wir bei Heidi aus Deutschland zu Besuch waren, backte sie uns ein wunderbares Vollkornbrot. Wir hatten sie am Palmsonntag in der Kirche kennen gelernt. Uns beschäftigte an jenem Tag ein kurzes Gespräch mit einer jungen Türkin in Antalya (siehe Video). „Weshalb heißt es eigentlich Palmsonntag?“ fragte sie. Hanspeter erklärte ihr, dass Jesus eine Woche vor der Kreuzigung auf einem Esel reitend in Jerusalem eintraf und ihm alle jubelnd zuriefen: „Hosianna!“ Dazu schwangen sie Palmzweige und legten sie vor Jesus auf den Weg (Matthäus 21). „Ich habe meine ganze Kindheit in Deutschland verbracht, doch es wurde mir kein einziges Mal erklärt, weshalb Ostern gefeiert wird. Ich wusste nur, dass man Eier versteckt.“ Diese Aussage der jungen Frau stimmte uns nachdenklich. Mit der Ausnahme von einigen Touristenorten wird hier selbst in den kleinsten Dörfern per Lautsprecher fünf Mal täglich das Glaubensbekenntnis ausgerufen. Und in Europa wird nicht einmal über das wichtigste Fest der Christenheit gesprochen.

Wir freuen uns, dass wir während des Wanderns sehr viel Zeit haben, mit Jesus zu reden. Er bringt Farbe in unser Leben. Wir erleben auch, dass es die vielen verschiedenen Erlebnisse sind, die den Alltag bunt werden lassen. So ähnlich wie ein Tuch, das schöner wird, wenn man verschiedene Farben aneinander fügt (siehe Video). Manchmal staunen wir über neue, ganz unerwartete Entdeckungen. Kürzlich z.B. wurde uns klar, dass die Ziegen und wir eine Gemeinsamkeit haben: Wir alle deponieren die von der Fahrbahn weggeräumten Dinge fein säuberlich am Straßenrand (siehe Video). J

Unser Vater im Himmel hat uns in den letzten Monaten innerlich und äußerlich reich beschenkt. Ihm, unseren irdischen Vätern und Müttern, unseren Betern und Sponsoren und allen praktischen Helfern wollen wir von ganzem Herzen danken!

Einen farbenfrohen Frühling wünschen Euch

Hanspeter und Annemarie

nächster Bericht

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Videos: http://www.youtube.com/user/BaselJerusalem?feature=mhum#g/u

Medienberichte: http://www.obrist-impulse.net/html/medien.html

Beitrag im Radio Life Channel (ERF Schweiz) vom 27. April 2011 http://www.lifechannel.ch/artikel/13743.html     Frühere Sendungen: http://www.lifechannel.ch/life_channel-programm-serien-reise_nach_jerusalem.html

Eine Antwort to “Babam Tschiftschi”


  1. Liebe Pilger
    Vielen Dank für eure Beiträge und ich freue mich jedes Mal sie mir anzuschauen.
    Bald geht es auch für mich los und ich freue mich riesig!
    Wünsche euch viel Ausdauer und noch eine Frage wie macht ihr es mit Syrien und den Unruhen?
    Mein Pass ist immer noch auf dem Syr.Konsulat in Genf für das Visum.Mal schauen ob ich uberhaupt eines erhalte!
    Lieber Gruss
    Pace e Bene
    Vittorio Ferlin


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